60. Jünglingshaus und Jünglingsverein
1814 erblickt Jakob Wintgens als Sohn einer Weberfamilie in Kettenis das Licht der Welt. Auch er wird Weber und lernt die Schattenseiten des Berufs kennen: die, die keine Aufträge erhalten, ertränken ihren Kummer in Schnaps. Er lädt sie ein in seine winzige Wohnung im Schilsweg und erklärt ihnen das Sonntagsevangelium in ihrer Sprache, der Mundart. Der Erklärung folgen einige unterhaltende Spiele. Und sie kommen immer wieder, am Sonntagnachmittag, der einzigen Freizeit der Woche. Und sie bringen auch ihre Freunde mit. Bald schon wird das Gedränge zu groß; Wintgens‘ Wohnung kann die jungen Leute nicht mehr fassen. Wohlgesinnte Gönner verhelfen ihm zu einem ersten Versammlungsraum an der Malmedyer Straße. Dieser wird das erste Vereinslokal des nunmehr entstandenen Jünglingsvereins. Nach Anschaffung einer Fahne beteiligt sich der Verein auch an der Fronleichnamsprozession sowie an den Begräbnissen verstorbener Mitglieder.
Inzwischen hat die Zahl der Hausweber rapide abgenommen. Die Webstühle werden in den Fabriken zusammengefasst. Unruhen und Unzufriedenheit pflanzen sich nun schneller fort, besonders die Wirren der 48er Jahre führen in den Eupener Fabriken vielfach zu Streiks. Der Jünglinsverein blüht. Man geht dazu über, kleine Feste abzuhalten. Im Jahre 1868 zählt der Verein 179 aktive Mitglieder. Mit Hilfe des Lehrers Drouven gründet Wintgens eine Gesangsabteilung. Als das Anwesen an der Malmedyer Straße den Besitzer wechselt, muss ein neues Lokal her. Wintgens fasst den Plan, einen Neubau zu errichten. Er erhält eine Baustelle an der Neustraße zum Geschenk. Geldspenden ermöglichen es schon bald, das große Werk zu beginnen. Die Vereinsmitglieder, mittlerweile 250 an der Zahl, leisten unzählige Arbeitsstunden. Das Heim für die Eupener Jugend ist im Entstehen. 1870 kann der Verein feierlich in sein neues Heim einziehen. Bei dieser Gelegenheit erhält er auch die kirchliche Genehmigung. Es bleibt eine große Schuldenlast, die durch die Gründung einer Casinogesellschaft und den damit verbundenen Schankbetrieb getilgt werden soll. Auch Tanzvergnügen werden nun abgehalten; der Überschuss des Schankbetriebes soll dem Vereinshaus zugute kommen. Als 1874 der Darlehensgeber sein Geld fordert, scheint der Zusammenbruch des Geschaffenen unabwendbar. Doch nun springt Kaplan Adrians, der neue geistliche Berater des Vereins, in die Bresche. Unter vielen Mühen gelingt es ihm, bei der Bevölkerung 190 zinsfreie Aktion zu je 10 Talern unterzubringen. Nach dem Tode Wintgens‘ am 24. Juni 1875 trägt seine Saat hundertfältige Frucht. 1899 wird der große Festsaal seiner Bestimmung übergeben. Vom Berliner Komitee für die Pariser Weltausstellung 1900 kommt eine Einladung, in der deutschen Abteilung für Jugendpflege auszustellen. Der Eupener Jünglingsverein, sein Vereinshaus, seine Statuten und Einrichtungen werden mit dem ersten Preis und der Goldmedaille ausgezeichnet.
1912 feiert der Katholische Jünglingsverein sein 75jähriges Jubelfest, verbunden mit Fahnenweihe. Er ist der älteste Jünglingsverein des Rheinlandes. Vom 19. bis 23. August werden im großen Saal des Jünglingshauses Exerzitien für die gesamte männliche Jugend der Stadt abgehalten. Am 25. August führt ein Festzug von der St. Josephs-Pfarrkirche durch die Stadt. Im großen Saal gelangt zur Aufführung „Der Friedensengel“, ein Schauspiel in 5 Akten.
Der Weltkrieg 1914-18 bringt das Vereinsleben zum Erliegen. Doch kaum ist der Krieg beendet, erstarkt der Verein wieder. Unter seinem Präses Kaplan Jean Arnolds begeht er 1937 glanzvoll sein 100jähriges Bestehen. Nach Kriegsende wird die Tätigkeit des Vereins nicht wieder aufgenommen, weil die geistliche Behörde ihm ihre Genehmigung versagt. Das Haus aber, das Jakob Wintgens mit Hilfe der ganzen Bevölkerung für die Eupener Jugend gebaut hat, wird immer an ihn erinnern.
In einer wechselhaften und von Geldnöten geprägten Geschichte konnte das Haus, mit finanzieller Hilfe der Eupener Bevölkerung, bis in die 60er Jahre vom Jünglingsverein verwaltet werden. Nach dieser Zeit übernahm die Christliche Krankenkasse die Vereinsschulden und richtete im Erdgeschoss des Vorderhauses ihre Büroräume ein. Ab 1980 übernahm das Kulturelle Komitee der Stadt Eupen nach einer ersten Renovierung in Eigenregie den Saalbetrieb. In zwei weiteren Umbauphasen 1992 und 1995 - mit Subsidien der Deutschsprachigen Gemeinschaft und der Stadt Eupen - entstand so das heutige Kulturzentrum "Jünglingshaus".