39. Der Schuster vom Berg
Geboren wurde Karl Willems, der Schuster „va bater gen Bärreg“, am 18. Januar 1915 in der unteren Bergstraße als zweiter von drei Söhnen der Eheleute Nikolaus Willems und Barbara Theves. Später wohnte die Familie in der unteren Neustraße, wo er eine schöne Kindheit verbrachte. Mit 14 Jahren begann er eine Schuster- und Schuhmacherlehre bei seinem Onkel Nikolaus Theves in der oberen Bergstraße, zu einer Zeit, als in Eupen noch 35 Schuster tätig waren. Er liebte seinen Beruf und eröffnete 1934 eine eigene Schusterwerkstatt auf dem Rotenberg, gegenüber der Pferdetränke im Ortsteil „än Tebaten“. 1940 heiratete er Fini Engels aus dem Bellmerin. Nach Kriegsende zogen Karl und Fini um, in den Ortsteil „bater gen Bärreg“. Dort richtete im Haus Am Berg 46 seine Schusterwerkstatt ein. Er liebte es, sich mit seinen Kunden zu unterhalten und war um keine Jeckerei verlegen. Auch Kinder brachten ihm gerne Schuhe zum Flicken, weil er immer zu Späßen aufgelegt war. Er schenkte ihnen alte Gummiabsätze für das „Hickhäuschen-Spiel“ oder machte zu Karneval den kleinen Cowboys Pistolentaschen und malte ihnen eine Schnauzbart aus hartnäckiger Lederschwärze ins Gesichtchen, der, zum großen Leidwesen der Mütter, nach am Aschermittwoch zu sehen war.
Schon in seiner Jugend hatte Karl gerne Sport getrieben. Er gehörte seit 1923 der Turnerriege des Jünglingsvereins an. Später war er in der Turn- und Sportvereinigung (TSV) als Turnwart tätig. Das Turnen am Reck war seine Leidenschaft. In dieser Disziplin gewann er etliche Preise. 1960 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Eupener Leichtathletikclubs (LAC), für den er sich als Vizepräsident sehr engagierte.
55 Jahre lang, bis zu seinem Tode war er begeisterter Sänger. Er war Mitglied im Kirchenchor an St. Nikolaus, dem er viele Jahre als Präsident vorstand. Er war ein tiefgläubiger und auf Gott vertrauender Mensch. Er ließ weder eine Chorprobe noch sonntags das Hochamt aus. Gerne organisierte er für den Chor Weihnachtsfeste mit Theateraufführungen oder Turnerriegen und Büttenreden bei Karnevalsfesten. Spaß und Religiosität wurden stets kombiniert.
Ein weiteres Hobby war der Fastovend. Schon in seiner Jugend war dieser ein fester Bestandteil seines Lebens. Als Straßenkarnevalist zog er mit den Nachbarn vom Rotenberg und der Bergkapellstraße durch die damals noch zahlreichen Eupener Wirtschaften. Er spielte Mandoline, seine Freunde „Kwéttschbüül“ und Gitarre. Immer hatte er passende Liedchen parat, um die Leute zum Lachen zu bringen. Mit dem Quartett »De veer Aunderbotze« wurde er überall eingeladen, um besonders das Liedchen »Hott Ööpe än Ihre« vorzutragen, das im Volksmund besser als »De Värkesvott« bekannt ist. Aus dieser kleinen Gruppe entstand die Karnevalsgesellschaft „Berger Block“. In den 1950er und 1960er Jahren baute er mit seinem Bruder Klaus, seinen Vettern Peter und August Mennicken und Hein Rennertz schöne Karnevalswagen. An allen vier Karnevalstagen war die lustige Truppe mit ihrem Gefährt im Eupener Straßenkarneval unterwegs.
Nun zu seiner nächsten Leidenschaft: Das Theaterspielen. Schon vor 1940 spielte er Theater im Jünglingsverein und bei Kirchenchorfesten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Mitglied der „Theaterfreunde“, erst als Schauspieler, später als Präsident. Seine Vorliebe für die Eupener Mundart brachte er in mehreren Theaterstücken zum Ausdruck, wovon er einige selbst geschrieben hat oder vorhandene ins Öüpener Platt übersetzte. Zu nennen wären z.B. „Et gruet Lott“ und „Dr Schuster Lenn“. Auch für Hochzeiten, Geburtstage und Klassentreffen schrieb er Gedichte in Hochdeutsch oder auf Platt. Nach seinem Tode fanden die Erben ein kleines Tonband, das er mit all seinen Gedichten besprochen hatte, als Erinnerung für seine Enkel. Die Stadt Eupen brachte 1989 ein Buch mit diesen Gedichten und Liedern heraus. Später wurde dann eine CD hergestellt mit dem Titel „Hott Öüpen än Ihre“.
1958 ging Karl Willems in die Gemeindepolitik: Zunächst bei der CSP, dann bei der Bürgerliste „Stadtinteressen“ (SI). Auf Ebene der Gemeinschaftspolitik war er Mitgründer der PDB. Von 1959 bis 1977 war er Präsident des Öffentlichen Sozialhilfezentrums. In seiner 18-jährigen Amtszeit wurde das alte Waisenhaus am Rotenberg abgerissen und ein neues Alten- und Pflegeheim gebaut. Am Limburger Weg entstanden die fünf Kinderhäuser.
Kurz vor seinem Tode, am 27. März 1986, verlieh die Stadt Eupen ihm die August-Tonnar-Plakette als Anerkennung für seinen unermüdlichen Einsatz zur Pflege und Erhaltung des Eupener Brauchtums.
92. Alfred Holler, ein Künstler im Bergviertel
„Jede Holler-Landschaft hat ihre eigene Seele“, titelte das GrenzEcho im Juni 1998 bei der Ankündigung einer Ausstellung von Werken des aus Krefeld stammenden Eifelmalers Alfred Holler.
45 Jahre zuvor hatte GrenzEcho Redakteur Otto Eugen Mayer anlässlich dessen 65. Geburtstags Alfred Holler als den malerischen Entdecker Eupens bezeichnet. Als Holler 1910 im Alter von 22 Jahren nach Eupen kam, habe er hier künstlerisches Neuland entdeckt und sich daran gemacht, die malerischen Winkel und Gebäude der Weserstadt zu malen und zu skizzieren. Pinsel und Ölfarben sowie die Radiernadel waren die Werkzeuge, mit denen er die Schönheiten seiner Wahlheimat für die Zukunft festhielt.
Doch nicht nur in Eupen fand Holler Motive, denen er eine Seele zu verleihen verstand. Er durchwanderte die Eifel, um deren landschaftliche Schönheiten im Bild festzuhalten. 1937 fertigte er in St. Vith eine Skizzensammlung an; ein einzigartiges Zeugnis von der Büchelstadt vor deren totaler Zerstörung während der Ardennenoffensive. Fast jede Landschaft der Eifel, fast jedes Dorf hat Alfred Holler im Bild festgehalten. Somit wird er zu Recht als würdiger Nachfolger des großen Eifelmalers Fritz von Wille bezeichnet. In Prüm oder Daun war und ist er ebenso bekannt wie in St.Vith, Manderscheid oder Malmedy. Wenn auch in Eupen verwurzelt, durchforschte er mit Künstleraugen auch die Ardennen, Flandern und die Niederlande. Als junger Mann hat er bereits in Nieuwpoort gemalt.
Während des Ersten Weltkrieges wurde er als Kriegsmaler der Obersten Heeresleitung im Osten eingesetzt. Vor allem in der alten litauischen Königsstadt Wilna und in deren Umland fand er zahlreiche Motive für seine Bilder. Ein Teil dieser Bilder ziert heute die Flure des ostbelgischen Ministeriums.
1917 kehrte Alfred Holler nach Eupen zurück. Er heiratete die Tochter Martha des Kaufmanns Johann Hass und nahm Wohnung im Elternhaus der jungen Frau, Neustraße 44. Dort richtete der Berufsmaler sein Atelier ein, in dem in den folgenden Jahren unzählige Ölgemälde und meisterhaft ausgeführte Radierungen entstanden.
Fünf Radierungen mit Eupener Motiven
Das Studium an der Kunstakademie Düsseldorf begann der 1888 in Krefeld geborene Alfred Holler um 1906 bei den Professoren Peter Behrens und Ludwig Heupel-Siegen. Von dort ging er nach Paris, wo er sich an der Académie Julian einschrieb. In Karlsruhe wurde Holler 1910 Schüler von Julius Bergmann, Professor für Tier- und Landschaftsmalerei. Von 1911 bis 1913 war er Schüler des bekannten Landschaftsmalers Ludwig Dill, der seine künstlerische Entwicklung entscheidend prägte. Seine Vorliebe galt fortan dem Einfangen von Landschaften mit Pinsel, Zeichenstift und Radiernadel.
In Düsseldorf hatte Alfred Holler Freundschaft mit dem aus Eupen stammenden Walter Ophey geschlossen. Durch diesen kam er um 1910 in die Weserstadt, deren malerische Winkel ihn dazu veranlassten, sich hier niederzulassen. Bald nach dem Ersten Weltkrieg erreichte Alfred Holler einen größeren Bekanntheitsgrad. 1920 veröffentlichte er eine Mappe mit fünf Radierungen mit Eupener Motiven in einer Auflage von 50 Exemplaren. Die Bilder zeigten den Marktplatz, die Werthkapelle, die Oberste Heide, die Schilswegbrücke und den Spabrunnen. Der spätere Aachener Museumsdirektor Dr. Felix Kuetgen entdeckte in den Landschaftsbildern „ein langes, inniges Versenken von Sinn und Gemüt in den vertrauten und geliebten Gegenstand, in die Seele seiner Stadt. Das Auge wird vom Dunkel zum Hellen geführt. Das alles verrät ein feines Landschaftsgefühl des Maler-Radierers.“
Bequeme Raten von zehn Mark monatlich
Otto Eugen Mayer schreib 1953 in der oben erwähnten Würdigung: „Dass die Sicherheit, mit der er die Radiernadel zu führen weiß, in den letzten Jahren noch gereift ist, erweist ein Blatt mit einer neuen Darstellung der Mariensäule. (…) Es zeigt bei einer gesteigerten Kraft des Ausdrucks, eine meisterhafte Verteilung der Licht- und Schattenwerte, mit wundervoller Weiche des Tons gepaart.“
Hollers Radierung des Eupener Marktplatzes mit Mariensäule von 1920 diente 1929 als Vorlage für die erste Briefmarke mit einem Eupener Motiv.
Der Aachener Publizist Will Hermanns sagt über den Künstler in der Monographie „Der Eifelmaler – Alfred Holler“: „Fritz von Willes Kunst ist romantisch. Neben ihr ist anderes möglich und wirklich: eine erdhaftere, modernem Naturempfinden nähere, weniger „poetische“ und doch nicht minder stimmungsvolle Kunst, wie sie sich etwa im malerischen Werk Alfred Hollers darbietet. Mit der Fülle und dem Gehalt seines Schaffens tritt Alfred Holler als Eifelmaler neben den älteren Fritz von Wille. Beide eigenartig und selbstständig in ihrer Kunst. Persönlicher Geschmack mag den einen höher werten als den anderen. Ein ernsthafter Streit, wer der Größere ist, ist heute sicherlich unaustragbar. Er ist auch überflüssig. Freuen wir uns, dass wir zwei solcher Kerle haben.“ Auch ein hoch gelobter Künstler hat es nicht leicht, von seiner Kunst zu leben, und muss schon um Kundschaft buhlen. Von Holler wird erzählt, dass er in den 1920- und 1930er-Jahren seine Werke in der Stadtverwaltung Aachen zur Schau stellte, damit er aus dem Kreis der bei der Stadt Beschäftigten zahlreiche Liebhaber seiner Kunst gewann und ihnen in bequemen Raten von zehn Mark monatlich seine Bilder bereitwillig überließ.
140. Dohme Jupp und seine Zeitgenossen
Wie jede Stadt so hatte auch Eupen seine Originale, und diese Originale hatten so etwas wie ihre eigenen „Residenzen“. So stand am Berg, am Holundergässchen, „bate gen Bärg“, wie der Volksmund sagt, ein langgestrecktes Haus; der Flock genannt. Hier hausten mehrere teils allein, teils in Gemeinschaft. Auch in Thebaten, auf dem Rotenberg, in der Hisselsgasse konnte man sie finden.
Da waren zuerst Dohme Jupp und Dohme Nikela, de Jonge va Lehmefke. Sie wohnten im Flock. Sie hatten ein großes Zimmer, das mit Kreide eingeteilt war. Wehe wenn der eine auf das Stück des andern trat! „Bliev op dinne Plei“, hieß es dann. Der Jupp war groß und stark, der Nikela klein und schmächtig. Letzterer machte gegen Bezahlung Bittgänge für die Leute. Wenn das Geschäft nicht genug blühte, spazierte Nikela mit einem Plakat um den Hals durch die Stadt : „NIKELA DOHM, BITTWEGGEHER“. Nikelas guter Appetit war geradezu sprichwörtlich geworden. Der Volksmund sagte von jemandem, der soviel essen kann: „De kann eete, we Dohme Nikela“. Es wird berichtet, dass er einmal bei einem Totenmahl 15 Brötchen, ein Stück Platz und einen ganzen Reisfladen verzehrte. Das war schon eine Leistung!
Seine Mutter, das Lehm-Evke (Evchen), hatte schon aus einem schweren Sack Lehm verkauft und vom Schleppen einen krummen Rücken bekommen. Josef vergrößerte das Geschäft und benutzte einen Handkarren. Fuhr er eine abschüssige Straße hinunter, so lenkte er das Gefährt im Zickzack, der Kraftersparnis wegen. Er verdiente sich seinen Unterhalt, indem er für andere Kohlen schaufelte, Lehm trat, Bürgersteige reinigte, Holz spaltete oder dergleichen Arbeiten verrichtete. Er war als Handlanger gerne gesehen. Nur musste er gut gefüttert und reichlich mit Schnaps versorgt werden. Im Übrigen erweckte er den Eindruck, als sei er zu Höherem geboren gewesen. Mit Vorliebe trug er die von „besseren Leuten“ abgelegten Kleider, in denen er stolz durch die Stadt spazierte. Aber oft und lange sah man ihn nicht, dann saß er im Gefängnis oder gar im Zuchthaus. Bei der Verwaltung befand sich eine ganze Liste größerer und kleinerer Vergehen, denen er sich schuldig gemacht hatte.
In der Metzgerei Schlembach am Berg wurde bei gutem Wetter die Wurstmaschine draußen gedreht, eine Arbeit, die Dohme Nikela verrichtete. Als nun gegen 1904-1905 die Meisterprüfung zur Ausübung des Berufes verlangt wurde, hing man dem Nikela bei dieser Arbeit ein Schild auf den Rücken mit der Aufschrift „Nikela Dohm, Wurstdrehmeister“.
Einmal hatte man ihn in die Wirtschaft Dechêne am Berg gelockt und eine Wette mit ihm gemacht. Wenn er so und soviel Buttermilch mit so und soviel Zwieback esse, sollte er gebührend belohnt werden. Das ließ Nikela sich nicht zweimal sagen! Er aß und aß, bis schließlich sein Bauch auffällig dick wurde. Da wurde nun Einhalt geboten, Mittel und Wege angewandt, um dem maßlos Verzehrten den Kehraus zu geben.
Nikela war ein ruhiger, anständiger Kerl, im Gegensatz zu seinem Bruder Jupp. Das war ein Rowdy, der mehr als einmal mit der Polizei zu tun hatte. Bei der Verwaltung befand sich eine ganze Liste größerer oder kleinerer Vergehen, deren er sich schuldig gemacht hatte.
Jupp besaß eine Spielorgel. Kirmes wurde er engagiert. Dann machte er Karussellmusik. Von morgens bis abends drehte er unermüdlich seine Orgel. Ansonsten verdiente er sich seinen Unterhalt, indem er für die Leute Kohlen schaufelte, Lehm trat, Bürgersteige reinigte, Holz spaltete oder dergleichen Arbeiten.
Zur damaligen Zeit war Kaplan Wallenborn Präses des Gesellenvereins. Als er einmal die Neustraße hinunterging und in die Bergstraße einbiegen wollte, kam der Jupp eiligs auf ihn zu. „Här, kommen Se mal mit“. Der Kaplan dachte, es handele sich um einen Kranken und folgte ihm bis in den Flock. Da sagte der Jupp: „Nu kucken Se mal Här, dat ist doch keine Wohnung für ene Mann, wie iech getrocke bänne“. Nach einigen guten Worten war der „Här“ froh, als er wieder frische Luft schöpfte.
An einem Kirmesmontag sollte nun im Flock auch Kirmes gefeiert werden. Die ganze Sippschaft war eingeladen: der Jupp, der Nikela, Düfelje, Bröerke, Schnöse Jäntje… Honse Nâss, auch eine Nachbarin, sollte den Tisch zurechtmachen. „Hü, wärt be os gefiert“ hatte Jupp im Bergviertel verkündet. Und schon war der Plan geschmiedet! Die Jungen vom Metzger Schlembach, vom Bäcker Bourseaux und noch andere schlichen sich heimlich hinter die Hecke der dem Flock gegenüberliegenden Wiese, den Ibern, bewaffnet mit getrocknetem Kuhfladen, Wasen, usw. Als die Stimmung schon ziemlich hoch war, flogen plötzlich die Geschosse durch das geöffnete Fenster bis mitten auf den Festtagstisch. Was nun los war; kann sich nur einer vorstellen, der den Flock und seine Bewohner kannte.
Joseph Dohm ist am 19. Dezember 1925 gottselig im Herrn entschlafen. Sankt Petrus muss besser mit ihm fertig geworden sein als die damalige Eupener Polizei. Auf jeden Fall hat man seither nichts mehr von ihm gehört!
Wohl bekannt waren auch die Gebrüder Krott, ehrliche, anständige, fleißige Menschen. Wenn sie nur nicht immer so durstig gewesen wären! Ein Zeitzeuge berichtet folgende kleine Begebenheit: Ich kam eines abends bei sternklarem Himmel gegen 10 Uhr nach Hause. In der Neustraße stand mitten in der Straße Länn Krott. Er betrachtete den Vollmond und rief ein übers andere Mal: „Leive Mond, dou bäss märr äns ägene Mont voll, ich bänn et jëidder Dag“.
147. Herbert Kaldenbach, der „tapfere Schneider“ vom Rotenberg
Uns allen sind „Meister Böck“ oder „Das tapfere Schneiderlein“ aus der Literatur bestens bekannt. Ob nun in der Geschichte über die beiden Lausbuben „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch (1865) oder im Märchen der Gebrüder Grimm (1812), der Beruf des Schneidermeisters war seit jeher ein angesehenes und solides Handwerk. „Kleider machen Leute“ schrieb Gottfried Keller bereits 1874 in seiner gleichlautenden Novelle. Herbert Kaldenbach war bis zu seiner Pensionierung (1997) der letzte noch aktive Schneider in Eupen.
Immer sein Wunschberuf
„Als ich mich 1957 selbständig machte, gab es in Eupen noch 13 aktive Schneider. Vier Jahre später (1961) übernahm ich das Bekleidungsfachgeschäft meines Onkels Heinrich Kaldenbach im Olengraben (Haus 13). Ich habe bei ihm meine Lehre absolviert und anschließend dort noch als Geselle bis 1957 gearbeitet. Danach machte ich am Rotenberg meinen eigenen Betrieb auf“, erzählt Herbert Kaldenbach vom Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Es war immer sein Wunschberuf gewesen. In seiner Lehrzeit lernte er nur das Nähen. Damit er die Stoffe auch zuschneiden konnte, belegte er 1954 und 1955 entsprechende Lehrgänge an der ‚Deutschen Bekleidungs-Akademie München‘, die eine Zweigstelle in Düsseldorf unterhielt. Somit konnte er sich mit den neuesten Errungenschaften moderner Zuschneidekunst vertraut machen.
Nicht jeder hatte eine Idealfigur
Zu dieser Zeit kaufte Herbert Kaldenbach auch eine universale Nähmaschine, die er bis heute besitzt. „Der Preis war nie ausschlaggebend. Ich hatte einen Kundenstamm aus allen Schichten der hiesigen Bevölkerung, wie auch aus dem Eupener Umland. Meistens waren es Männer, ab und zu auch mal eine Frau. Der Wert des Kleidungsstückes richtete sich nach der Stoffqualität. Der Machlohn war immer gleich.“ Der Eupener Schneidermeister musste sich schon Anfang der 1970er Jahre gegen die aufkommende Bekleidungsindustrie wehren. „Ich wollte das Angebot auch auf Fertigwaren erweitern. Doch die Idee ließ ich schnell wieder fallen.“ Herbert Kaldenbach schneiderte überwiegend Herrenanzüge. Für die hiesigen Musik- und Karnevalsvereine war er eine angesagte Adresse. Er selbst war Anfang der 1950er Jahre Mitglied der Prinzengarde Eupen. „Es war da schon eine kleine Herausforderung, die jeweiligen Uniformen zu schneidern. Diese waren ja je nach Vereinigung unterschiedlich. So manches Vereinsmitglied hat bei mir Maß nehmen lassen.“ Der ehemalige Präsident der ostbelgischen Schneiderinnung weiß, dass nicht jeder eine Idealfigur hatte: „Vor allem das individuelle Anpassen und das Entwerfen eines Schnittmusters waren ständige Herausforderungen. Aber das machte ja den Beruf so erstrebenswert und vielfältig.“ Nicht immer passte bei der ersten Anprobe das Produkt auf Anhieb.
D’r Jung braucht ene Bademantel!
„‘Machen sie auch Anzüge für ganz dicke Leute?‘ fragte mich eines Tages ein Mann. Es war wohl der größte Anzug, den ich jemals geschneidert habe. Sein Hosenbund betrug staatliche 165 cm“, erinnert sich der Meister an manchmal ausgefallenen Wünsche der Kunden. „D’r Jung muss ene Bademantel haben. Können sie mir einen machen?“ war ebenso ein ausgefallener Wunsch wie der von einem Mann, der einen Anzug bestellte und mir eröffnete, dass er keine Unterwäsche trage. „Da habe ich ihm ein Hosenteil aus Baumwolle zum Einknöpfen eingenäht. Das konnte er dann regelmäßig waschen.“ Nachdem es immer mehr Konfektionsgeschäfte in Eupen gab, schloss er 1976 das Geschäft im Olengraben und siedelte endgültig zu seinem Anwesen am Rotenberg (Haus 36) über. Dort arbeitete er fortan in einem kleinen Anbau in seinem Garten. „Die Industrie hatte sich auf die wachsende Nachfrage für Problemfiguren eingestellt. Da gab es Anzüge in allen Größen ‚von der Stange‘. Trotz allem behielt ich meine treuen Kunden.“
Schneiderinnung und Lehrlingsausbildung
Kaldenbach war von 1961 bis 1976 Präsident der ostbelgischen Schneiderinnung. Am 10. Oktober 1971 feierte die Innung ihr 75-jähriges Bestehen im Hotel Schmitz-Roth am Rathausplatz. 1976 wurde sie dann aufgelöst. „Ich war zu diesem Zeitpunkt das einzige Mitglied. Da machte es keinen Sinn mehr. Das Kassensaldo stiftete man dem Eupener Kolpinghaus, das sich im Umbau befand.“ Schneidermeister Kaldenbach hat in seiner Berufslaufbahn insgesamt neun Lehrlinge in seiner Werkstatt ausgebildet. Er selbst war immer mit der Ausbildung junger Menschen eng verbunden. So gehörte er seit 1963 während 40 Jahren dem Verwaltungsrat des „Zentrums für Handwerkliche Berufsausbildung & Vervollkommnung Eupen“ (heute: Zentrum für Aus- und Weiterbildung des Mittelstandes), gelegen an der Langen Gasse (heute Limburger Weg), als Vertreter der Schneiderinnung an. Als Fachlehrer wirkte er über 29 Jahre in der Eupener Berufsausbildung für Lehrlinge, Gesellen und Meister. „Mein Beruf hat mir immer Freude gemacht. Der Umgang mit der Jugend hat mich fit gehalten. Dafür bin ich Gott dankbar“, blickt der heute 86-Jährige auf eine bewegte, aber zufriedene Schneideraktivität zurück: „Das kleinste Ding ist auch zu ehren: Eine Nadel mag einen Schneider nähren.“
148. Schützentradition während der Haaskirmes
Sie sind bei den Feierlichkeiten einer Pfarrgemeinde kaum wegzudenken: die Herren im schwarzen Anzug mit dem Zylinderhut. Ob Patronatsfest, Fronleichnam- oder Pfarrprozession, die Schützen sind immer dabei. Höhepunkt eines Schützenjahres ist das Königsvogelschießen anlässlich der Kirmes.
An letztgenannte Veranstaltungen erinnert sich Schneidermeister Herbert Kaldenbach (86) heute noch sehr gerne. Das langjährige Mitglied und ehemaliger Vorsitzender der Königlichen St. Josef-Bürger-Schützengesellschaft (1971-1989) der Eupener Haaspfarre weiß von den „anstrengenden“ Tagen während der Kirmes viel zu erzählen. Heute ist er Ehrenpräsident der Gesellschaft. Er wohnt seit fast 85 Jahren am Rotenberg.
Kirmeseröffnung und Pfarrprozession
Wenn mit dem September das Kirmeswochenende näher rückte, wussten die Unterstädter St.Josef-Schützen, dass ihr Einsatz gefragt war. Weniger das Kirmestreiben als die Präsenz bei den Feierlichkeiten und beim Schießen um die Königswürde waren für jedes Mitglied Ehrensache. Herbert Kaldenbach hatte 1961 die Schneiderei seines Onkels Heinrich im Olengraben 13 übernommen. „Da ich bis zum frühen Abend meine Kunden bedienen musste, konnte ich nicht an der Kirmeseröffnung teilnehmen.“
Angetreten dazu wurde an der Gastwirtschaft „Schützenhof“ (Inh. Rudi Delhaes, später Louise Hahn) an der Kreuzung Neustraße/Rotenberg. Von dort aus zog der Verein mit dem Kirmeskomitee unter musikalischer Begleitung zur Haas und weiter zum Schilsweg. An einigen der damals zahlreichen Wirtschaften wurde eine Pause eingelegt.
„Jedes Jahr gab es einen Wechsel zwischen der Musikvereinigung und der Harmonie Eupen. Die Kosten für die Musik während der Kirmestage und für die Kutsche von Konrad Steffens waren zu unseren Lasten. Unsere Gesamtkosten für das Kirmeswochenende lagen bei ungefähr 35.000 Franken. Nach Beendigung des Umzuges gab es noch das eine oder andere Bierchen, ehe man sich auf den Nachhauseweg machte. Sonntagmorgen mussten wir ja wieder zeitig antreten.“
Zum Kirchweihfest zieht bis heute noch die Pfarrprozession in der Unterstadt aus. Es war eine ehrenvolle Aufgabe für die Schützen, den „Himmel“ zu begleiten. In Uniform und mit schwarzem Zylinder geleitete man das Allerheiligste durch die Unterstädter Straßen. „Bereits vor 9 Uhr trafen wir uns im Café ‚International‘ von Stalmans Will im Schilsweg.
Die Musikkapelle spielte einen Tusch, die Schützen standen in Zweierreihe vor der Wirtschaft und salutierten der Vereinsfahne. Den Präsidenten und den noch amtierenden König begrüßten die Schützen mit einem ‚Guten Morgen Herr Präsident, guten Morgen Herr König‘. Nach dem Defiliermarsch machte man sich dann auf zur Pfarrkirche.“ Festlich geschmückt waren Straßen und Häuser. Die „Poellches“-Vereine hatten am frühen Morgen die bunten Fähnchen aufgehangen und die Anrainer ihre Fenster und Hauseingänge mit christlichen Symbolen geschmückt. Aus manchem offenen Küchenfenster zog schon der Duft des Festbratens. „Nach der Prozession zogen die Schützen bis zum Olengraben um dort zu wenden, und anschließend zum Frühschoppen ins Hotel Bosten zu ziehen. Da war es brechend voll. Manchmal mussten wir auf den großen Saal ausweichen“, erinnert sich Herbert Kaldenbach. „Kurz vor 13 Uhr ging es zum Mittagessen nach Hause. Man wollte doch für das Königsvogelschießen gestärkt sein.“
Mit Kugelgewehr und Zylinder
Sonntagnachmittags hieß es wieder antreten im „Schützenhof“. Anschließend wurden der Präsident und der scheidende König zu Hause abgeholt. In Reih und Glied, König und Präsident in der Kutsche, ging es stramm über die Kirmes Richtung Schützenwiese hinter der Gaststätte ‚Auf dem Land‘ an der oberen Monschauer Straße. In Eigenarbeit hatten die Schießmeister Franz Mertens und Toni Lausberg rund 200 Bleikugeln vorbereitet. Noch thronte der Holzvogel majestätisch vor dem Kugelfang. Nachdem jedes der ca. 70 Mitglieder seine Startnummer gezogen hatte, oblag es dem noch amtierenden König, den ersten Schuss abzugeben. Geschossen wurde mit den vereinseigenen Kugelgewehren und immer mit Zylinder auf dem Kopf.
Die Schussfolge war vorbestimmt. Zuerst schoss man auf den Kopf, dann auf den rechten und anschließend auf den linken Flügel und am Ende dann noch auf den Rumpf. „Hoch lebe der König“ schallte es, wenn das letzte Holzstück von der Stange fiel. „Mitunter kam es vor, dass sich Schützenbrüder aus der Liste streichen ließen. Es ist sogar vorgekommen, dass am Ende nur noch ein Schütze übrig blieb. Da habe ich unmittelbar vor Ort eine Vorstandssitzung einberufen. Über die gefundene Lösung wurde Stillschweigen vereinbart“, so der ehemalige Präsident.
Auch kam es vor, dass ein Schütze einen über den Durst getrunken hatte. „Den haben wir dann aus Sicherheitsgründen nicht mehr schießen lassen.“ Noch auf der Festwiese wurde der neue König mit dem Königskreuz und der Königskette ausgezeichnet. Das Kreuz fertigte Goldschmied Hans Bredohl an. Es hatte einen Wert von 3.000 Franken.
In „Trauerkleidung“ übers Venn
Ungeduldig warteten die Kirmesbesucher derweil im Schilsweg und unter der Haas auf die Nachricht, wer der neue Amtsträger in diesem Jahr war. Zu den Klängen des Trommler- und Pfeiferkorps und im jährlichen Wechsel mit der Musikvereinigung bzw. Harmonie Eupen zog der kleine Festzug mit dem neuen Würdenträger in der Kutsche zur Kirmes. „Im oberen Schilsweg war es ein paar Mal schwarz von Leuten. Wir sind dann von der Ecke Schilsweg/Haagen bis zur Tankstelle von Josef Evertz an der Ecke Schilsweg/Bellmerin zu Fuß gegangen. Das war vor allem für die Pferde sicherer. Anschließend ging es mit der Kutsche weiter.“
Der heutige Ehrenpräsident erinnert sich, dass man die Anstrengung des Nachmittags so manchem Kollegen ansah. Feierlich eingeführt wurde der neue Schützenkönig am Kirmesmontag im Hotel Bosten. Bei Tanzmusik kamen die Gratulanten und erfreuten sich eines besonderen Abends. Ein würdevoller Ausklang der ereignisreichen Kirmestage für die St. Josef-Bürger-Schützengesellschaft.
„Mein Onkel sagte mir bei der Geschäftsübernahme: Jong, dou moss bèï de Schötze gone! Da goët et vöël Konde“ Eines Morgens kam Onkel Heinrich die Treppe herunter und sagte: Dou béss nou saït Soreschteg bèï de Juppe! So bin ich ohne eigenes Zutun Schützenbruder geworden.“
Herbert Kaldenbach freut sich noch heute über die vielen Ereignisse, die er in seinem aktiven Schützenleben erleben durfte. „Unsere Uniform bestand immer aus einem schwarzen Anzug, weißen Handschuhen und dem Zylinder. Da wir mitunter Eifeler Gemeinden besuchten, wurde diese Ausstattung dort schelmisch als Trauerkleidung bezeichnet. Da haben wir für jene Veranstaltungen zeitweise mal grüne Jacken mit Hut getragen,“ schmunzelt der heutige Ehrenpräsident über so manche Anekdote. Sein Herz schlägt immer noch für das urwüchsige „Öüpener Platt“ und die geliebte Unterstadt.
159. Foto Franken, Neustraße
Von 1864 bis 1883 betrieb Carl Christian Laue zunächst in der Eupener Gospert, danach an der Neustraße ein Foto-Atelier, das von Caspar Franken übernommen und weitergeführt wurde. Über vier
Generationen, von 1883 bis 2010, haben sechs Fotografen aus der Familie Franken die Stadt Eupen und ihre Bewohner im Bild begleitet. Im Eupener Adressbuch von 1865 werden unter den
Gewerbetreibenden zwei Fotografen genannt: Josef Mattar, wohnhaft Am Berg, und Carl Laue, der zur Kirmes 1864 ein Geschäft in der Gospertstraße eröffnete. Christian Carl Laue verdanken wir die
ältesten Stadtansichten und Porträtaufnahmen. Caspar Franken eröffnete 1886 ein eigenes Studio auf der Neustraße. Im Laufe der Jahre baute Caspar Franken sein Unternehmen aus: 1888 übernahm er
das benachbarte Geschäft des Fotografen Alex Köppelmann. 1889 mietete Caspar Franken beim Nachbarn Mathias Mauerer weitere Räumlichkeiten an. Als Mauerer 1894 verstarb, erwarb Franken die
Immobilie mitsamt den verbliebenen Hypotheken.
In jenen Jahren verlagerte sich die Fotografie von der frischen Luft immer mehr in den geschlossenen Raum, wo man die äußeren Bedingungen besser beherrschen konnte. Das Hauptproblem blieb die
lange Belichtungszeit, die den Kunden ein hohes Maß an Geduld und Disziplin abforderte und manchmal den Einsatz spezieller Rückenhalter oder Kopfstützen erforderte. Um das Problem besser zu
beherrschen, richtete Franken 1909, als die ersten Stromkabel gelegt wurden, ein neues Studio mit einem verschiebbaren Glasdach und elektrischem Licht ein.
Anders als die meisten seiner Kollegen war er weniger an konventionellen Motiven wie Stadtansichten und Denkmälern interessiert als an markanten zeitgenössischen Bauten, modernen Industrieanlagen
und aufwändigen Infrastrukturarbeiten. Eines seiner bevorzugten Motive war die nahe Gileppe-Talsperre, ein technisches Wunderwerk, mit dessen Bau 1869 begonnen und das 1878 beendet wurde. Das
Geschäft gedieh so gut, dass Franken 1909 eine stillgelegte Fabrik unterhalb seines Ateliers erwarb und diese zu Mietwohnungen umbauen ließ. Am 14. Dezember 1914 sorgte eine neue Verordnung bei
den Fotografen für volle Auftragsbücher: Fortan musste jeder Reisepass ein Lichtbild des Inhabers haben. Ab Mai 1917 musste entlang der deutschen Grenze im Westen jeder Einwohner, der älter als
14 Jahre war, einen Ausweis mit Lichtbild mit sich führen. Damit wollte man den regen Schmuggel an der Grenze zu den neutralen Niederlanden und dem besetzten Belgien besser bekämpfen. Auch die
Nachkriegsordnung, die der Versailler Vertrag dem Deutschen Reich verordnete, kurbelte das Geschäft an. Nach der Abtretung der Kreise Eupen und Malmedy an Belgien mussten die „Neubelgier“ mit
neuen Personalpapieren ausgestattet werden. Da jedermann danach trachtete seine familiären, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen über die Grenze hinweg aufrecht zu erhalten, waren Reisepässe
auch für einfache Leute unerlässlich.
Das Haus auf der Neustraße, das in den Tagen Caspars und Thereses wegen seines Kinderreichtums im Volksmund „Hotel Franken“ hieß, erhielt unter seinem lebenslustigen Nachfolger Leo Franken den
Spitznamen „Rocki-Docki“. In den vier Jahren, die sie im Großdeutschen Reich verbringen mussten, haben sich Leo und Helene Franken hinter ihr Gottvertrauen und ihre elf unmündigen Kinder
verschanzt. Als die Ortsgruppe der NSDAP das katholische „Jünglingshaus“ auf der Neustraße für ihre Zwecke requirierte, nahmen die Franken die Kruzifixe und Heiligenbilder von der Wand, um sie
daheim aufzubewahren, „bis der Spuk vorbei war“. Zudem weigerte sich Franken beharrlich, bei deutschen Siegen oder an hohen Festen die Hakenkreuzfahne zu hissen. Auch hing weder im Schaufenster
noch in seinem Laden ein Porträt des Führers und Reichskanzlers. Auf Nachfragen erklärte Franken, dass bei ihm an den Wänden nur Fotos hingen, die er selbst geschossen habe. Als im September 1944
die Amerikaner die „Adolf-Hitler-Straße“ hoch marschierten und der „braunen Pest“ ein Ende bereiteten, wurde das Atelier vorübergehend beschlagnahmt, weil die US-Armee ein eigenes Fotolabor
brauchte. Die Soldaten, die oft in Kompaniestärke die entnazifizierte Neustraße hochzogen, um sich dort ablichten zu lassen, erregten den Argwohn und den Neid der Nachbarn. Wilde Gerüchte machten
die Runde. Nachdem die politische Säuberung, die die Ostkantone nach dem Krieg heimsuchte, halbwegs überstanden war, kehrte wieder Normalität in der Neustraße ein. Franken holte sich Tochter
Margit ins Geschäft, die 1960 über eine Anzeige in einer Fachzeitschrift den Kollegen Harry Dyba kennenlernte, dessen Familie aus Böhmen stammte. Dessen Sohn George Dyba schlug sich noch 20 Jahre
wacker gegen die industrielle Konkurrenz. Am Ende, sagt er, seien weite Bereiche der gewerblichen Tätigkeit weggebrochen. Die Werbung sei von spezialisierten Agenturen, das Zeitgeschehen durch
die Medien abgedeckt worden. Gleichzeitig hätten Kauf- und Versandhäuser damit begonnen, Fotoabzüge gegen billiges Geld zu liefern. Was aber Foto Franken ins Mark getroffen habe, sei die
Säkularisierung der Gesellschaft gewesen: Die Zahl der kirchlichen Trauungen habe rapide abgenommen. Auch Taufen und Erstkommunionen seien rückläufig gewesen, also alle jene Familienfeste, die
früher die Grundlage des Gewerbes gewesen seien. Schließlich sollte der Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie den ganzen Berufsstand revolutionieren und das Ende von Foto Franken
einläuten.
164. Der Eupener Künstler Christian Stüttgen
Im Jahr 1972 widmete das Grenz-Echo dem Schöpfer der Pferdetränke, dem Bildhauer Christian Stüttgen, einen Artikel. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war der Brunnen aus dem Viertel verschwunden. Erst zwanzig Jahre später sollte sie wieder an ihren alten Platz zurückkehren.
187. Primizfeiern im Bergviertel
In früheren Zeiten herrschte um diese Jahreszeit große Freude in den hiesigen Kirchengemeinden, gab es doch regelmäßig sogenannte Primizfeiern zu begehen. Unter einer Primiz versteht man grundsätzlich die erste von einem römisch-katholischen Priester als Hauptzelebrant gefeierte heilige Messe, hierzulande zumeist als feierliche Primiz in der Heimatgemeinde des neugeweihten Priesters unter Teilnahme zahlreicher weiterer Priester der Region begangen. Wir blicken zurück auf die beiden letzten Primizfeiern im Bergviertel, die von Hans Miessen im Jahr 1966 und die von Ralph Schmeder im Jahr 1988.
196. „Kampf“ mit dem Baakauf
Über das Aussehen des ursprünglichen Baakaufs aus Eupener Sicht berichtet August Tonnar nach alten Angaben: Der Leib des Scheusals war mit schäbigen Zotteln bedeckt, der Schwanz sehr lang und
kräftig. Der auf langem Halse sitzende unförmige Kalbskopf zeigte eine scheußliche Nase, stiere Augen und ein großes Maul, aus dem mächtige Zähne hervorschauten.
Lichtscheu…
Das Baakauf konnte brüllen wie ein Ochse. Es war in allem so recht geeignet, Schrecken einzujagen. Jedoch nur, wenn kein Licht mehr brannte und keine Sterne schienen, näherte es sich späten
Wanderern, legte ihnen von hinten die Vorderbeine auf die Schultern und ging oder lief so mit ihnen nach Hause. Wurden die Überfallenen müde, so stieß das Tier sie weiter vor die Hausttüre, floh
dann aber, sobald Licht sich zeigte. Das Baakauf war also nicht eigentlich bösartig, wie denn auch nichts davon gesagt wird, dass es jemals einem Schlimmes angetan habe. Man scheint ihm vielmehr
geradezu zu eine erzieherische Absicht zugeschrieben zu haben, den Nachtschwärmern gegenüber. In Aachen, wo man ebenfalls daran glaubte, sprach das Volk dies in einem Liede offen aus. Und wie in
Aachen an der Wurm, so hielt es sich in Eupen vornehmlich am Stadtbach auf. Wir werden es deshalb ursprünglich als eine nächtliche Nebelerscheinung aufzufassen haben, in der einmal ein vom
Alkoholganz besonders überreiztes Gehirn ein gefährliches Tier zu sehen vermeinte; und einmal gesehen, schreckte es alle Ängstlichen und die Kinder.
Das Ende des Eupener Baakaufs…
Bis zum 19. Jahrhundert scheint man an das Baakauf wirklich geglaubt zu haben. Dann wurden die Menschen allmählich kritischer, und der Volksglaube schwand dahin. Wie aber dieser ausgenutzt werden
konnte, zeigt folgende Erzählung: Bald nach 1800 sei es mehrmals vorgekommen, dass Arbeiter, die mit ihrem Wochenlohn sehr spät durch das Dunkel von Tebaten nach Hause gingen, vom Baakauf
überfallen wurden und nachher ihren Lohn vermissten. Nun hätten einmal mehre Leute kurz vor Mitternacht in einer Wirtschaft dort beisammen gesessen und über das gesprochen, was ihnen vielleicht
bevorstand. Da habe ein besonders starker Mann behauptet, er werde das Untier, wenn es ihn anspringe, mit zurückbringen. Kaum war er draußen, da sass ihm schon das Baakauf auf dem Rücken. Er
packte zu und hielt fest. Und merkwürdig: Das Baakauf flehte ihn mit menschlicher Stimme an, es doch loszulassen. Aber der Tapfere ließ sich nicht erweichen, schleppte es in die Wirtschaft und
warf es vor die Gäste auf den Tisch. Und siehe da: aus der Haut des Baakaufs schälte sich ein Mann, der die Angst des Volkes längere Zeit geschickt zu seinem Vorteil verwertet hatte. Was nun
geschah, kann man sich denken…
217. Bäckerei Christmann im Olengraben
Im Januar 1975 berichtete das Grenz-Echo über den ältesten Bäcker Ostbelgiens, Johann Christmann vom oberen Olengraben, der auch mit 77 Jahren noch täglich in der Backstube anzutreffen war...
218. Josef Watroba - Der gute Mensch vom Schusterberg
so titelte im Jahr 1986 das Grenz-Echo, um einen der letzten seiner Zunft zu porträtieren, die dieses Handwerk noch nach alter Manier betrieben. Der Artikel ist auch eine Beschreibung des besonderen Lebens im Bergviertel, welches schon damals von vielen 'Fremden' belebt wurde, die eine Anlaufstelle suchten...
219. Guy Spitaels zu Besuch im Bergviertel
Anfang Februar 1983 weilte der damalige Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Wallonie, Guy Spitaels in Eupen. Dass er dabei auch dem Bergviertel einen Besuch abstattete lag daran, dass zu
dieser Zeit das Haus der SP noch an der Neustraße anzufinden war, zum anderen führte der Weg aber auch auf die Bergkapellstraße zum erkrankten August Pitsch, einem Urgestein der Sozialisten
Eupens.
231. Filmstars an der Judenstraße
Zu Beginn der 70er Jahre war das Eupener Sportzentrum noch regelmäßiger Austragungsort für internationale Boxkämpfe. Am 14. September 1974 weilte zusätzlich noch Prominenz aus der
Unterhaltungsbranche am Ring: im Rahmen von Dreharbeiten für einen Spielfilm saßen u.a. Eddie Constantine, Annie Cordy und Johnny Haliday in der vorderen Reihe am Ring. Ein Hauch von Glamour im
Bergviertel...
234. Webmeister Wertz
Als das Grenz-Echo Cornel-Josef Wertz anlässlich seines 90. Geburtstages in der Borngasse besuchte, war er der einzige noch lebende Meßdiener, der die Gründung der St. Josefs-Pfarre im Jahr 1873
mitmachte. Am 4. Februar 1860 geboren, hatte er anfangs noch auf den alten Handwebstühlen gearbeitet, bevor er 1875 die Technik der neuen mechanischen Stühle in Westfalen erlernte und danach 38
Jahre lang Webmeister bei der Firma Wilhelm Peters und Co. war, einer der ältesten Eupener Webmeister.
236. Schauwäuke
Wenn vor 175 Jahren ein Metzger gelegentlich einmal schlachtete, dann trat „Schauwäuke“ in Aktion. Dieser einfache Mann wohnte in dem kleinen Durchgang, der sich dort befand, wo seit 1846 die Neustraße von der Bergstraße abgeht. Sein Name hatte übrigens noch nicht die heutige Bedeutung „durchtriebener Mensch“, sondern Schauwau begegnet man um 1750 als Name eines angesehenen Bürgers, dessen Familie wohl inzwischen heruntergekommen war. Schauwäuke zog also um 1830 mit dem zu schlachtenden Stück Vieh als lebende Reklame durch die Straßen und rief dabei: Morgen wird geschlachtet bei Metzger soundso; das Pfund Fleisch kostet soundsoviel. An Fleischbeschau auf Trichinen und ähnliche Feinde der Menschheit dachte damals noch niemand, sondern die Kauflustigen meldeten sich alsbald vertrauensvoll bei dem Schlachter, um sich einen Anteil zu sichern.
248. Die grüne Welt des Theodor Mooren
252. Karl Willems – der dichtende Schuster
Über Karl Willems, den Schuster vom Berg, berichteten wir bereits in Episode 39 unserer „Gechichte(n) aus dem Bergviertel“. 2002 wurde im Gedenken an ihn eine CD mit Gedichten und Liedern aus seiner Feder veröffentlicht. Das Grenz-Echo berichtete damals...
253. Peter Beckers Beitrag zur Entwicklung des Bergviertels
Von 1850 bis 1881 bekleidete Peter Becker das Amt des Bürgermeisters der Stadt Eupen. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt fasste er den Plan, über den Rotenberg eine Verbindung zwischen dem Tebaten-Viertel und dem Weiler Stockem zu schaffen. In den Jahren 1854-55 ließ Peter Becker das Jouchegätzke zur heutigen Oestraße ausbauen und erleichterte so den Zugang zum Oetal, in das sich Wagen und Karrin bis dahin über den Olengraben und den Oeberg quälen mussten. Zu seinem 200. Geburtstag erinnerte das Grenz-Echo an den bedeutenden Stadtvater...
267. Gustav Angelo Venth
Die zwischen 1884 und 1886 errichtete Kreuzigungsgruppe an der Außenfassade des Chorraums der Bergkapelle ist ein Werk des Aachener Bildhauers Venth. Daneben schuf er weitere Skulpturen für die Innenräume anderer Eupener Kirchen und Kapellen (siehe „Werke“). Gustav Angelo Venth (* 6. Mai 1848 in Aachen; † 13. April 1903 in Aachen) war ein deutscher Bildhauer und Gewerbeschullehrer. Er war der Sohn des Aachener Porträt- und Historienmalers Aloys Hubert Michael Venth und der Adelheid Beckers. Von 1866 bis 1872 war Gustav Venth als Schüler in der Bildhauerwerkstatt von Gottfried Götting tätig. Die lieblicheren Züge der Salome-Skulptur lassen seine Handschrift vermuten. An der Technischen Hochschule beteiligte er sich 1870 bis 1871 an Modellierübungen. In den Jahren 1872 bis 1877 gehörte er als Gehilfe zu der Werkstatt von Wilhelm Pohl (1841–1908). Als selbstständiger Bildhauer war er seit 1877 tätig. 1886 gehörte er zu den Gründern der gewerblichen Schulen in Aachen, die er mit dem 1902 verstorbenen Direktor Joseph Spennrath aufbaute. Im Jahr 1900 war Ludwig Mies van der Rohe Schüler dieser gewerblichen Tagesschule, die deshalb seit 1986 seinen Namen trägt. An der gewerblichen Tagesschule sowie der Zeichen- und Kunstgewerbeschule war Bildhauer Venth als Lehrer tätig. Venth war Mitglied der Constantia, des 1839 gegründeten Männergesangsvereins Concordia, der katholischen Vereinigung Handwerkerwohl und des katholischen Bürgervereins der Pfarre St. Jakob in Aachen. Gustav Angelo Venth erlitt im Alter von 55 Jahren einen Gehirnschlag und verstarb am Montag, den 13. April 1903 in Aachen. Am Mittwoch, den 15. April 1903 zog um 14 Uhr der Trauerzug von seinem Sterbehaus Stromgasse 38 aus, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Er war verheiratet mit Maria Venth, geborene Errens. Seine Hinterbliebenen trauerten in Aachen, Brügge, Mülheim an der Ruhr, Duisburg und Köln.
Werke
1878 blockförmiger, dorischer „Grabaltar“ mit Urnen-Darstellung aus Sandstein für die „Grabstätte der Familie Carl Schreiber“ auf dem Aachener Ostfriedhof
1881 zwei Modelle für den Wettbewerb der Fassadenfiguren des Aachener Rathauses, unausgeführt
1885 „Golgotha-Skulpturen“, Bergkapelle in Eupen.
1890 „Jakobusskulptur“ mit Pilgerstab und Jakobsmuschel im unteren Querhaus von St. Jakob (Aachen)
1894 „Heilige Familie“ Figurengruppe nach dem Gemälde von Franz Ittenbach, von dem Aachener Maler Wirth gefasst, Heilig-Kreuz-Kirche (Aachen)
„Heilige Familie“, „Hl. Dominikus“, Josephskirche in Eupen
„Maria mit Kind“, „Hl. Joseph“, Skulpturen in der Kapelle Enthauptung Johannes des Täufers (Eupen).
Madonna mit Kind, St. Peter (Aachen). Die monumentale Steinskulptur ist ursprgl. auf Untersicht als Portalskulptur gearbeitet. Heute befindet sie sich im inneren Bereich des südlichen Eingangs.
„Antoniusfigur“, Holzskulptur in St. Peter Aachen.
„Thronende Marienfigur“ zwischen zwei Aposteln, Westportal St. Paul in Aachen, verschollen
„Marienstatue“ rechter Seitenaltar in St. Peter, Aachen
1894 „Triumphkreuz“, St. Jakob in Aachen
1900 Anfertigung von drei Statuen für die Rathausfront nach Entwürfen anderer Bildhauer